Freitag, 2. November 2012

Der Kapitän und sein Pirat

oder:  A non-fictional thriller about the extreme called "life"

Des Kritikers Achillesverse ist gleichzeitig sein größtes Potential: Seine eigene Meinung, seine subjektive Sicht auf die betrachteten Werke. Selbstverständlich sind wir Rezensenten immer dazu angehalten neutral zu betrachten. Objektiv müssen wir sein und unvoreingenommen. BULLSHIT! Auch berichtende Formate wie der Dokumentarfilm, die Dokumentation, der Bericht oder das Feature sind niemals (nein, wirklich niemals!) rein objektiv. Zu viele Filter, angefangen beim Regisseur bis hin zum Schnittmeister, wirken auf das Objekt und schlussendlich auch auf das bewegte Bild ein. Von der Vorstellung des objektiven Films müssen sich sowohl Rezipient als auch Rezensent verabschieden. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf fällt es letztendlich leichter sich auf einen Dokumentarfilm einzulassen. Ein Dokumentarfilm will kein Schulmeister sein, sondern vielmehr eine andere, manchmal auch erste Sicht auf gewisse Sachverhalte geben. Auch die schreibende Zunft muss sich dessen bewusst sein und gerade beim Genre des Dokumentarfilms beachten dass der erste Anspruch ist, das Publikum zu unterhalten. Eine spielfilmhafte Inszenierung ist also durchaus erlaubt und es geht nicht darum, dem Betrachter pure Daten und Fakten zu offerieren. Akzeptiert man dieses Prinzip ist es wesentlich einfacher eine Rezension mit dem nötigen Abstand zu verfassen. Gerade Berufsjournalisten neigen dazu Dok.Filme zu zerreißen, weil Sie den journalistischen Anspruch gefährdet – oder schlicht nicht erfüllt – sehen. Wir betrachten jedoch keine Reportage sondern einen non-fiktionalen Spielfilm! Auf der diesjährigen DOK.LEIPZIG durfte ich mehrere Weltpremieren miterleben. „Der Kapitän und sein Pirat“ war sicherlich nur einer von vielen guten Dokumentarfilmen – gesehen habe ich neun – und doch hat er einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen. Es war mir ein Bedürfnis einen Rückblick speziell auf diesen Film zu geben. Zu groß war die Gänsehaut, zu intensiv das Gefühl während des Films, als dass ich es nicht hätte machen können. Ob und wann dieses Machwerk jemals eine kommerzielle Auswertung erfahren wird ist unklar. Wünschenswert wäre es auf jeden Fall.



Story
Die Regisseure Stefanie Brockhaus und Andy Wolff zeichnen die Geiselnahme auf der „Hansa Stavanger“ im Jahr 2009 nach. Der Kapitän Krzysztof Kotiuk erzählt seine Geschichte emotional. Wir begleiten einen gefallenen Seebären zur Therapie, in seine spärliche Wohnung und lauschen seinen Aussagen die gerne im Gegenschnitt vom damaligen Anführer der Piraten konterkariert werden. Der ruhige abgeklärte Somalier berichtet emotionslos und erläutert die Umstände die einen Mann in Somalia zu einem Piraten machen. Die Geschichte ist gekennzeichnet von Respekt. Kotiuk steht Todesängste aus, wird fast erschossen und hat doch Achtung vor seinem Gegenüber. Seine Mannschaft sieht das anders. Später wird in den Medien zu lesen sein, dass er sich zu sehr auf die Piraten eingelassen und nicht zielführend gehandelt hätte. Der Film zeigt ein Bild von einem Captain, der nicht versteht, dass seine Crew ihn nach den Ereignissen öffentlich denunziert und der noch weniger versteht dass ausgerechnet der Pirat ihm so viel Respekt schenkt. Kotiuk versucht das Trauma in einer Thearapie zu bewältigen während der somalische Pirat in den „Schuhen des Kapitäns“ am Strand spaziert - die Kamera immer dabei.

Review
Lobhuddelei liegt mir nicht, lag mir noch nie und wird mir nie liegen. Umso schwerer diesmal Respekt und Hochachtung für dieses Werk auszudrücken ohne in Schwafelei und Gelaber zu verfallen. Die Bilder sind sauber. Stativ und Handkamera wechseln sich oft genug ab um nie als störend empfunden zu werden. Brockhaus und Wolff sind glücklicherweise nicht dem Trend verfallen nur Wackelbilder einzufangen, um die Authentizität des Filmes damit künstlich herbeizuführen. Warum auch? Ein Dokumentarfilm darf schön aussehen. Tut „The Captain And His Pirate“ auch. Er nimmt sich die Freiheit spielfilmhaft inszeniert zu sein. Während der Somalier - permanent auf einem Kokablatt schmatzend – von der Eroberung des Schiffes erzählt, bekommen wir Aufnahmen von der mittlerweile verlassenen, „Hansa Stavanger“ zu sehen. Der Film erlaubt es sich selbst den Schnitt seinem emotionalen Tempo anzupassen. Ob dreiminütige Sequenzen von einem betrübt nach unten schauenden Kotiuk wirklich sein müssen ist sicherlich streitbar, können aber wohlwollend als Mittel der Regisseure interpretiert werden, um die Melancholie des Ex-Kapitäns zu skizzieren. Schon die Tatsache, dass der Pirat als ausführender Täter vor laufender Kamera über die Tat spricht – frei und offensichtlich emotional gefasst – verdeutlichen dem Zuschauer den soziopolitischen Hintergrund dieses Landes und tragen zur äußerst authentischen Atmosphäre bei. Krzysztof Kotiuk wirkt unaufdringlich, posiert nicht vor der Kamera sondern duldet Sie allenfalls. Er ist wichtig im Film, ja, aber nie wichtiger als die Geschichte welche erzählt wird. Musik wird spärlich eingesetzt. Es gibt sie, ist jedoch weder episch noch sonst wie pathetisch. Sie unterstreicht, betont, streicht und klimpert aber dezent im Hintergrund. Am Ende des Films bleibt der Zuschauer im Zwiespalt zurück. Auf der einen Seite haben wir das Gefühl, dass die äußerst einseitige Berichterstattung in den Medien endlich eine gesunde Opposition erfahren hat. Auf der anderen Seite muss man sich eingestehen, dass auch dieser Beitrag die Protagonisten nicht aus ihrem Loch erretten konnte, sondern doch eben nur aufzeigt und auf eine erschreckend packende Art unterhält.


Fazit
Die Story alleine ist hollywoodreif und fesselt den Zuschauer an den Kinosessel. Wer Dokumentarfilme häufiger konsumiert wird sich freuen diesen Augenschmaus genießen zu dürfen. Publikum, welches üblicherweise Mainstreamkino konsumiert, wird sich eventuell an die Form gewöhnen müssen, an lange unbewegte Bilder und Stille. Schnitt und Inszenierung machen die Umgewöhnung jedoch einfach. Der Film betrachtet eine einzige Seite des Vorfalls und will auch nichts anderes als das. Gute Filme aus Deutschland müssen weder KeinOhrHasen, ZweiOhrKüken oder DreiLochStuten heißen und können trotzdem unterhalten. „Der Kapitän und sein Pirat“ ist der Beweis dafür.

In diesem Sinne,
Ein authentisch dokumentiertes Cheerio und viel Spaß bei Eurem nächsten Kinofilm.

Euer Robert


Trailer zu Der Kapitän und sein Pirat
 
 
Der Kapitän und sein Pirat
84 Minuten
FSK k.A.
Deutschland, Belgien, Somalia, 2012

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