OT: Cloud Atlas | 172 Min | FSK 12 | R: The Wachowskis, Tom Tykwer | DE, HK, SI 2012 VÖ: bereits erhältlich (DVD/BD/VOD) © Warner Bros. Home Entertainment |
"The Matrix" war anno 1999 nicht nur ein finanzieller Erfolg und zog zwei Fortsetzungen nach sich, sondern setzte auch die Messlatte in punkto Filmtechnik und Spezialeffekte wesentlich höher. Heutzutage gehören Bullettime und Ultrazeitlupe in vielen Filmgenres – insbesondere den physischen – zum Standardrepertoire. So wie der Sänger Falco in den USA Zeit seines Lebens nie an den Erfolg seines Erstlings „Der Kommissar“ anknüpfen konnte, scheinen auch die Wachowski-Geschwister an ihrem Cyberpunk-Epos klebenzubleiben. Nach der Matrix-Trilogie war es zunächst still um das Duo. „V wie Vendetta“ überzeugte die Fachpresse leider genauso wenig wie der phänomenal vergurkte Live-Action-Epilepsie-Auslöser „Speedracer“. 2009 noch fix den Metzger-Lehrfilm „Ninja Assassins“ produziert und schon planten Sie mit Tom „Lola rennt“ Tykwer die Umsetzung des Buches „Der Wolkenatlas“ von David Mitchell. Namen wie Tom Hanks, Halle Berry, Hugo Weaving, Jim Broadbent oder Jim Sturgess zergehen auf der Zunge wie ein Zitronensorbet. Doch die Erfahrung lehrt uns, dass selbst der beste Schauspieler vom Regisseur kaputtinszeniert werden kann – als mildes Beispiel sei hier Tom Hardy in „The Dark Knight Rises“ aufgeführt. Ob dies der Fall war oder nicht? Für Euch habe ich mich durch die verschiedenen Zeitepochen, bis in einen Kinosaal des Jahres 2012 gekämpft, um diese Frage zu beantworten.
Story
"Cloud Atlas" erzählt sechs Schicksale - miteinander verwoben durch sechs Epochen hindurch.
1849 wird der junge Anwalt Adam Ewing während einer Schiffreise von einem Sklaven gerettet und entschließt sich daraufhin gegen die Sklaverei einzutreten.
1936 tritt der junge Komponist Robert Frobisher in die Dienste eines alten Komponisten, wird von diesem aber gnadenlos ausgebeutet bis er sich zu Maßnahmen mit dramatischen Folgen entschließt.
1973 schnappt die Reporterin Luisa Rey Informationen über einen defekten Atommeiler auf, recherchiert aber etwas zu intensiv und wird den Involvierten schnell so lästig, dass diese sich ihrer entledigen wollen.
2012 landet der Verleger Timothy Cavendish durch widrige Umstände in einem Altenheim. Er und ein paar seiner neuen Mitbewohner finden sich nicht mit der Situation ab und beschließen zu fliehen.
2144 steht in Neo-Seoul dem weiblichen Klon Sonmi~451 die Hinrichtung bevor. Einem Archivar erzählt Sie die Geschichte ihrer Reise, die sie zu diesem Punkt gebracht hat.
2346 lebt der Ziegenhirte Zachary in einem postapokalyptischen Hawaii. Eine Botschafterin, Meronym, des hochtechnisierten Precient-Volkes erbittet Zacharys Hilfe bei einer Mission, an deren Ende sich seine Weltanschauung auf den Kopf stellen wird.
Review
Vorweg: Nein, ich habe das Buch nicht gelesen. Jegliche Vergleiche in dieser Hinsicht werden also diesmal ausgeklammert. Ehrlich gesagt fällt es auf den ersten Blick nicht ganz leicht zu so einem Film ein Review zu formulieren. Sechs Episoden. Jede will ein anderes Genre bedienen. Sci-Fi, Öko-Thriller, Dramady und andere. Erschwerend kommt hinzu, dass die Stories nicht chronologisch erzählt werden. Munter wird zwischen den Jahrhunderten gesprungen. Da überschneidet sich der Monolog aus dem 22. Jahrhundert schon gerne als Off-Text mit der Story aus 2012. Dieser Erzählstil wird knapp drei Stunden durchgezogen. Generell ist also angeraten Sitzfleisch, Red Bull und eine gehörige Portion Interesse mitzubringen. Andernfalls werden einem spätestens nach der ersten Hälfte die Augen zufallen. Das liegt nicht daran, dass die Geschichten für sich genommen nicht interessant sind - das sind sie durchaus - sondern vielmehr daran, dass man - teilweise auch durch die Montage - zu der Hälfte der Figuren keine emotionale Bindung aufbauen kann. In verschiedene Rollen zu schlüpfen bedeutet mehr als nur verschiedene Kostüme zu tragen. Man muss den Darstellern natürlich auch mehr zutrauen als nur das Übliche. Mutig wäre es gewesen Hugo Weaving eben nicht wieder als den klassischen zwielichtigen Bad Guy zu besetzen - und das in jeder Epoche, 2012 auch als Frau (!) - oder Hugh Grant nicht als Karikatur seiner Rollenklischees zu inszenieren. Aber bei einem Independent-Film geht man diesbezüglich vielleicht auch eher auf Nummer sicher. Zugeständnis an dieser Stelle.
Kurzer Einblick aufs technische Handwerk: Während Tykwer den Focus auf den Mensch in der Geschichte legt - sprich von 1936 bis 2012 existierten Menschen nur im Close Up und in der Halbnahen - merkt man den Wachowskis ihre Wurzeln, welche definitiv in Animes wie "Akira" und "Ghost in the Shell" liegen, überdeutlich an. Supertotale Einstellungen werden nicht zum Establisher - man weiß ja eh kaum wo man sich gerade befindet - sondern verdeutlichen das Alleinsein der Protagonisten. In der Episode um den Klon Sonmi~451 (unglaublich gut: Doona Bae) fallen dem geneigten Betrachter generell viele Einstellungen und streckenweise ganze Sequenzen auf, die verdächtig an "Ghost in the Shell" erinnern - vom futuristisch-asiatischen Setting mal ganz abgesehen. Etwa wenn Sonmi über einen Marktplatz schlendert und Dialoge über Leben und Tod hält, scheinen gewisse Anklänge an Mamoru Oshii`s Klassiker zu existieren. Da drängt sich einem die Frage auf: Warum war hier nicht der Mut da, aus diesem Segment des Films direkt ein Anime zu machen? Zur Technik bleibt nicht viel zu sagen. Die Musik ist grandios, die deutschen Synchronsprecher sind bestens (ab)gestimmt - allen voran natürlich Tom Hanks` Ersatzsynchro Joachim Tennstedt (u.a. Walter White in "Breaking Bad") - und die Bilder sind selbstverständlich gestochen scharf AUCH wenn hier und da mal scharf gestochen wird. Da war die Freiwillige Spaßkontrolle (FSK) auch gar nicht zimperlich und verpasste dem Streifen die grüne Zwölf (bedeutet in Begleitung der Eltern ab Sechs!). Beachtlich, wenn man bedenkt, dass es in dem Film bezüglich Selbstmord, Exekution und allerlei anderem Schabernack nicht unbedingt zimperlich zur Sache geht. Die Behauptung, das hätte etwas damit zu tun, dass der Film mit soundsoviel Millionen an deutschen Filmfördermitteln produziert wurde, kehre ich dezent unter den Teppich und fahre fort. Die Make-Up-Effects sind gut. Ob es jetzt heroisch und ein Statement war Halle Berry weiß, Donna Bae europäisch oder Hugo Weaving asiatisch zu gestalten, um entsprechende Rollen zu besetzen kann ich nicht beurteilen, rein ästhetisch wirkt es streckenweise einfach unschön. Hier bekommt der Film Lacher wo er eigentlich keine haben sollte. Apropos Lacher. Tykwer zeigt Lokalpatriotismus und macht es möglich deutsche TV-Prominenz wie Götz Otto und Katy Karrenbauer als prügelndes Kneipenvolk zu "bewundern" - Glückwunsch dazu. War selten so irritiert. Hugo "Agent Smith" Weaving als Schwester Noakes bekommt von Katy "Walter" Karrenbauer einen Stuhl über den Schädel. Danke Tom Tykwer.
Filmcollage, welche durch Darsteller und Ausstattung überzeugt. Freunde der leichten Unterhaltung und entspannten Kinoabenden sind hier leider völlig falsch. "Cloud Atlas" bedeutet Arbeit für den Rezipienten. Dafür wird man mit einem Tom Hanks in Hochform und dem guten Gefühl belohnt, sein Geld nicht verschwendet zu haben.
Für eine Kinokarte bekommt man sechs Geschichten geboten. Wer wach bleibt wird belohnt!
In diesem Sinne,
WolkenKartografierendes Cheerio und viel Spaß bei Eurem nächsten DreiStundenErlebnis
Euer Rob
Trailer zu Cloud Atlas
Danke für deine Rezension, mir gefällt auch, wie du Hintergründe klärst, denn mir ist im Kino gar nicht aufgefallen, wie stark die Parallelen zu den Animé-Wurzeln sind. Ich habe auch nicht mitbekommen, wie die Einstellungen variieren, wenn ich es aber Revue passieren lasse: Definitiv!
AntwortenLöschenAber eine Sache: Du kritisierst, dass man keine emotionale Bindung zu den Charakteren aufbauen kann, und dann meinst du aber, es wäre toll gewesen, die Schauspieler in nicht-gewohnten Rollen zu besetzen. Dann baut man doch aber noch weniger emotionale Bindung auf, wenn man sich damit erstmal arrangieren muss, dass die Leute etwas extrem anstrengendes für sie selbst spielen müssen, oder? Da spielt dann doch wieder die Glaubwürdigkeit eine Rolle.
Mitnichten Jakob.
AntwortenLöschenEine emotionale Bindung hat in der Regel nichts mit der Besetzung der Figuren zu tun, sondern nur mit deren Fähigkeit etwas Glaubwürdig, oder zumindest emotional ansprechend, zu vermitteln. Das Publikum hätte einem Good Guy Weaving garantiert auch die Rolle abgenommen und hätte bei vielen Sachen mitgezittert und geweint - und Tränen sind einfach das großartigste Feedback - aber bedingt durch die rasanten Zeitsprünge, den Schnitt und der vielen Denkarbeit fiel einfach schwer "sich emotional zu binden".
Ich fand es irgendwie gar nicht schwierig, ich war von vielen Charakteren stark affiziert, gerade aufgrund der Zitate, der guten Dialoge. Aussagen wie "Wie haben Sie das vor sich selbst gerechtfertigt?" - "Sie war meine Freundin!" haben doch zur emotionalen Bindung beigetragen - für mich zumindest.
AntwortenLöschenDavon abgesehen spreche ich das genau an, was du aussprichst: Wären die Schauspieler in der Lage gewesen, das glaubwürdig rüberzubringen? Ich möchte niemanden unterschätzen, es sind Oscar-Preisträger unter den Darstellern, doch ganz so einfach ist das gerade nicht. Vor allem: Bei einem Publikum muss das nicht unbedingt ankommen, das muss dem Darsteller die Rolle auch abnehmen. Diese Kontingenz ist schwer zu überbrücken.
Ich fand es hier übrigens auch nicht störend, wie "standard" besetzt wurde, aber deinen Aussagen nach scheint es bei dir auch nicht der Fall zu sein. Du hättest dir nur (auf hohem Niveau) mehr Mut gewünscht.