Des Kritikers Achillesverse ist gleichzeitig sein größtes Potential:
Seine eigene Meinung, seine subjektive Sicht auf die betrachteten
Werke. Selbstverständlich sind wir Rezensenten immer dazu angehalten
neutral zu betrachten. Objektiv müssen wir sein und
unvoreingenommen. BULLSHIT! Auch berichtende Formate wie der
Dokumentarfilm, die Dokumentation, der Bericht oder das Feature sind
niemals (nein, wirklich niemals!) rein objektiv. Zu viele Filter,
angefangen beim Regisseur bis hin zum Schnittmeister, wirken auf das
Objekt und schlussendlich auch auf das bewegte Bild ein. Von der
Vorstellung des objektiven Films müssen sich sowohl Rezipient als
auch Rezensent verabschieden. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf fällt
es letztendlich leichter sich auf einen Dokumentarfilm einzulassen.
Ein Dokumentarfilm will kein Schulmeister sein, sondern vielmehr eine
andere, manchmal auch erste Sicht auf gewisse Sachverhalte geben.
Auch die schreibende Zunft muss sich dessen bewusst sein und gerade
beim Genre des Dokumentarfilms beachten dass der erste Anspruch ist,
das Publikum zu unterhalten. Eine spielfilmhafte Inszenierung ist
also durchaus erlaubt und es geht nicht darum, dem Betrachter pure
Daten und Fakten zu offerieren. Akzeptiert man dieses Prinzip ist es
wesentlich einfacher eine Rezension mit dem nötigen Abstand zu
verfassen. Gerade Berufsjournalisten neigen dazu Dok.Filme zu
zerreißen, weil Sie den journalistischen Anspruch gefährdet – oder
schlicht nicht erfüllt – sehen. Wir
betrachten jedoch keine Reportage sondern einen non-fiktionalen
Spielfilm! Auf
der diesjährigen DOK.LEIPZIG durfte ich mehrere Weltpremieren
miterleben. „Der Kapitän und sein Pirat“ war sicherlich nur
einer von vielen guten Dokumentarfilmen – gesehen habe ich neun –
und doch hat er einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen. Es
war mir ein Bedürfnis einen Rückblick speziell auf diesen Film zu
geben. Zu groß war die Gänsehaut, zu intensiv das Gefühl während
des Films, als dass ich es nicht hätte machen können. Ob und wann
dieses Machwerk jemals eine kommerzielle Auswertung erfahren wird
ist unklar. Wünschenswert wäre es auf jeden Fall.
Die Regisseure Stefanie Brockhaus und Andy Wolff zeichnen die Geiselnahme
auf der „Hansa Stavanger“ im Jahr 2009 nach. Der Kapitän
Krzysztof Kotiuk erzählt seine Geschichte emotional. Wir begleiten
einen gefallenen Seebären zur Therapie, in seine spärliche Wohnung
und lauschen seinen Aussagen die gerne im Gegenschnitt vom damaligen
Anführer der Piraten konterkariert werden. Der ruhige abgeklärte
Somalier berichtet emotionslos und erläutert die
Umstände die einen Mann in Somalia zu einem Piraten machen. Die
Geschichte ist gekennzeichnet von Respekt. Kotiuk steht Todesängste
aus, wird fast erschossen und hat doch Achtung vor seinem Gegenüber.
Seine Mannschaft sieht das anders. Später wird in den Medien zu
lesen sein, dass er sich zu sehr auf die Piraten eingelassen und nicht
zielführend gehandelt hätte. Der Film zeigt ein Bild von einem
Captain, der nicht versteht, dass seine Crew ihn nach den Ereignissen
öffentlich denunziert und der noch weniger versteht dass
ausgerechnet der Pirat ihm so viel Respekt schenkt. Kotiuk
versucht das Trauma in einer Thearapie zu bewältigen während der
somalische Pirat in den „Schuhen des Kapitäns“ am Strand
spaziert - die Kamera immer dabei.
Review
Lobhuddelei
liegt mir nicht, lag mir noch nie und wird mir nie liegen. Umso
schwerer diesmal Respekt und Hochachtung für dieses Werk
auszudrücken ohne in Schwafelei und Gelaber zu verfallen. Die Bilder
sind sauber. Stativ und Handkamera wechseln sich oft genug ab um nie als störend empfunden zu werden. Brockhaus und Wolff sind
glücklicherweise nicht dem Trend verfallen nur Wackelbilder
einzufangen, um die Authentizität des Filmes damit künstlich herbeizuführen.
Warum auch? Ein Dokumentarfilm darf schön aussehen. Tut „The
Captain And His Pirate“ auch. Er nimmt sich die Freiheit
spielfilmhaft inszeniert zu sein. Während der Somalier - permanent
auf einem Kokablatt schmatzend – von der Eroberung des Schiffes
erzählt, bekommen wir Aufnahmen von der mittlerweile verlassenen,
„Hansa Stavanger“ zu sehen. Der Film erlaubt es sich selbst den
Schnitt seinem emotionalen Tempo anzupassen. Ob dreiminütige
Sequenzen von einem betrübt nach unten schauenden Kotiuk wirklich
sein müssen ist sicherlich streitbar, können aber wohlwollend als
Mittel der Regisseure interpretiert werden, um die Melancholie des
Ex-Kapitäns zu skizzieren. Schon die Tatsache, dass der Pirat als
ausführender Täter vor laufender Kamera über die Tat spricht –
frei und offensichtlich emotional gefasst – verdeutlichen dem
Zuschauer den soziopolitischen Hintergrund dieses Landes und tragen
zur äußerst authentischen Atmosphäre bei. Krzysztof Kotiuk wirkt
unaufdringlich, posiert nicht vor der Kamera sondern duldet Sie
allenfalls. Er ist wichtig im Film, ja, aber nie wichtiger als die
Geschichte welche erzählt wird. Musik wird spärlich eingesetzt. Es
gibt sie, ist jedoch weder episch noch sonst wie pathetisch. Sie
unterstreicht, betont, streicht und klimpert aber dezent im
Hintergrund. Am Ende des Films bleibt der Zuschauer im
Zwiespalt zurück. Auf der einen Seite haben wir das Gefühl, dass die
äußerst einseitige Berichterstattung in den Medien endlich eine
gesunde Opposition erfahren hat. Auf der anderen Seite muss man sich
eingestehen, dass auch dieser Beitrag die Protagonisten nicht aus
ihrem Loch erretten konnte, sondern doch eben nur aufzeigt und auf
eine erschreckend packende Art unterhält.
Fazit
Die
Story alleine ist hollywoodreif und fesselt den Zuschauer an den
Kinosessel. Wer
Dokumentarfilme häufiger konsumiert wird sich freuen diesen
Augenschmaus genießen zu dürfen. Publikum, welches üblicherweise
Mainstreamkino konsumiert, wird sich eventuell an die Form gewöhnen
müssen, an lange unbewegte Bilder und Stille. Schnitt und
Inszenierung machen die Umgewöhnung jedoch einfach. Der Film
betrachtet eine einzige Seite des Vorfalls und will auch nichts
anderes als das. Gute Filme aus Deutschland müssen weder
KeinOhrHasen, ZweiOhrKüken oder DreiLochStuten heißen und können
trotzdem unterhalten. „Der Kapitän und sein Pirat“ ist der
Beweis dafür.
In diesem Sinne,
Ein authentisch dokumentiertes Cheerio und viel Spaß bei Eurem nächsten Kinofilm.
Euer Robert
Trailer zu Der Kapitän und sein Pirat
Der Kapitän und sein Pirat
84 Minuten
FSK k.A.
Deutschland, Belgien, Somalia, 2012
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